Kürzlich sprachen wir mit einer Kundin und Expertin darüber, wie Unternehmen für Frauen attraktiver werden können. Mehr als um Gerechtigkeit geht es uns dabei um das allgegenwärtige Problem des Personalmangels. Ein geringer Frauenanteil im Unternehmen oder in bestimmten Bereichen davon deutet auf vernachlässigtes Potenzial hin. Dieses zu heben, könnte für das Personalmanagement neue Chancen erschließen.
Unsere Kundin, mit der wir uns unterhalten haben, heißt Sandra Bendmann. Sie ist Geschäftsbereichsleiterin Personal beim Klinikverbund Bremen. Sicherlich ist es zu weiten Teilen ihr Verdienst, dass der Frauenanteil im Klinikverbund auch in den gehobenen Positionen überdurchschnittlich hoch ist. Da Frau Bendmann fundierte Erfahrung mit dezentralen Organisationsstrukturen hat, möchten wir das Thema Frauenquote einmal in diesem organisatorischen Kontext betrachten.
Hintergrund: Im Gesundheitswesen mangelt es nicht an Frauen. Ganz im Gegenteil. Sie stellen sogar die große Mehrheit der Beschäftigten. Je weiter es allerdings in den Hierarchien nach oben geht, desto weniger Frauen sieht man. In den Topetagen sind sie nur zu 17 Prozent vertreten. Es erscheint also plausibel, dass im Gesundheitswesen ein enormes Potenzial brach liegt. Und wenn Frauen innerhalb einer Organisationsstruktur ungleichmäßig repräsentiert sind, kann dies auch mit diesen Strukturen und Verantwortungskultur zu tun haben.
Worauf kommt es an?
Die Fragen sind also:
1. Was wünschen sich Frauen von einem Arbeitgeber?
2. Welche Organisationsstrukturen können das liefern?
Natürlich führt Frage 1 unweigerlich auf das Dünne Eis, das Klischee heißt. So weist unsere Gesprächspartnerin als erstes darauf hin, dass es auch eher weiblich denkende Männer und eher männlich tickende Frauen gibt. Dennoch bestätigt sie, dass die Mehrheit der Frauen anders motiviert ist, als die der Männer. Zentraler Antrieb für viele Frauen sind Bendmanns Erfahrung nach gelebte Verantwortung und erfüllender Sinn in der Arbeit. Das finden wir hochinteressant, weil dieser Aspekt auch für die Junge Generation Z im Mittelpunkt steht. Arbeitgeber, die erfüllende Bedingungen und eine sinnstiftende Unternehmenskultur mit Lust auf Verantwortung gestalten können, sprechen damit die Führungskräfte von morgen an.
Wie geht Erfüllung?
Wie also kann ein Unternehmen Erfüllung in der Arbeit bieten? Ganz pauschal zählen dabei vor allem zwei Faktoren: Sinn und Wirkung über Ergebnisse . Dabei muss Sinn nicht unbedingt als abstraktes philosophisches Thema gedacht werden. Viel banaler kann der Wunsch nach Sinn schon erfüllt werden, wenn die Kontexte transparent sind, in deren Rahmen jeder handelt. Noch wichtiger ist Führung über die Sinnvermittlung. Die Zeiten des blanken Abarbeitens sind vorbei. Mitdenken, Mitlenken und Mitgestalten schaffen den Bezug zu dem, wofür das Unternehmen und die Mitarbeitenden stehen.
Verstehen ist dabei ein zentraler Begriff. Was wir verstehen ergibt für uns Sinn und lässt uns wachsen in einer Welt, die immer schneller und immer komplexer wird. Und hier unterscheidet unsere Expertin zwischen Männern und Frauen. Während Männer im anerkennenden Sinne verstanden werden wollen, geht es Frauen darum, zu verstehen.
Verstehen ist ein weibliches und empfangenes Prinzip. Verstehen kann man ohne einverstanden zu sein, aber über das Verstehen wird das Wachstum ermöglicht, das andere stark macht für ihre Aufgabe. Dieser Mechanismus ermöglicht einen hohen Multiplikationsfaktor in Unternehmen, der an vielen Stellen noch nicht genutzt wird.
Der zweite Faktor, das Wirken über Ergebnisse, lässt sich theoretisch einfach herleiten. Die Ergebnisse der eigenen Arbeit müssen sichtbar werden und das am liebsten zeitnah.
Führen durch Kultur
Für entscheidend auf dem Weg zu Sinn und Wirkung über Ergebnisse sehen wir eine Führungskultur, die Freude an Verantwortung und am Entscheiden fördert. Dabei ist zu akzeptieren, dass Fehler passieren, solange sie in eine Lernkurve führen. Dafür braucht es Strukturen, die eine balancierende Ausrichtung auf das „Entscheiden vor Ort“ haben. Dies ergibt sich auch plausibel aus der gegensätzlichen Betrachtung.
Große und entsprechend zentrale Organisationen sind oftmals undurchsichtig. Die Einzelne ist nur kleiner Teil eines großen und komplexen Konstrukts. Darin ist es schwer, eigene Wirkung zu beobachten und Erfüllung zu finden. In dezentralen Strukturen hingegen sind Wege kurz und die Prozesse in der Regel überschaubar. Die Folgen des eigenen Handelns lassen sich leichter nachvollziehen. Entsprechend lautet Bendmanns Tipp: Die Verantwortung muss in die Teams getragen werden – flankiert durch Systeme einer Unterstützungskultur.
Zwei Seiten einer Medaille: starr und stabil
Der Schlüssel zum Erfolg liege demnach in der richtigen Mischung dezentraler und zentraler Elemente. Letztere kann man als starr kritisieren oder auch als stabil loben und beides stimmt. In der richtigen Dosierung sehen wir zentrale Elemente weniger als Mauern, die individuelle Handlungsfreiheit beschränken. Vielmehr sollten es Leitplanken sein. Diese geben eine bestimmte Richtung vor, lassen aber ausreichend Spielraum. Sie schaffen optimale Bedingungen, um Schaffenskraft bestmöglich in Ergebnisse umzusetzen. Mauern sagen stopp. Leitplanken weisen den Weg und sie haben einen zusätzlichen Vorteil: Man kann leicht über sie klettern und nachsehen, wie grün das Gras auf der anderen Seite wirklich ist.
Für die Anteile zentraler Elemente empfehlen wir: So viel wie nötig und so wenig wie möglich. Bei der Bemessung des Nötigen gibt Bendmann zu bedenken, dass es nicht nur darum geht, Talente bei ihrer Entfaltung zu unterstützen. Dies ist nur Mittel zum Zweck. Vor allem gehe es nach wie vor um das letztlich Erreichte – immer verbunden mit Respekt vor den Ergebnissen der anderen.
Organisation ist nicht alles
Leider ist anzunehmen, dass organisatorische Maßnahmen allein das Problem nicht lösen werden. Wir sehen hier eine Stellschraube von vielen. Es sind nämlich nicht nur die großen, unflexiblen Organisationen und ihre Hierarchien, in denen Frauen es selten nach oben schaffen. Dasselbe gilt für Unternehmen, die man als Gegenentwurf begreifen könnte: Startups. Deren Gründer sind deutlich überwiegend männlich. Auch wenn im Zusammenhang mit Gründung zusätzlich Risikofreudigkeit ins Spiel kommt, müssen noch andere Faktoren eine Rolle spielen. Im Zuge des Unternehmenswachstums bessert sich die Frauenquote nicht. In Startups, die sich etabliert haben, entscheiden sogar noch weniger Frauen mit, als in der Mehrheit der Traditionsunternehmen.
Ermutigendes Fazit: So oder so wird es sich für jedes Unternehmen lohnen, dezentraler zu arbeiten, um Mitarbeitenden mehr erfüllende Jobs in ihrem Einflussbereich zu schaffen. Die Generation Z erwartet es ohnehin, und auch Männer dürften sich gut damit arrangieren können. Obwohl sie vielleicht nicht darüber sprechen.